Dr. Astrid Kopp-Duller, Legasthenie und LRS, Der praktische Ratgeber für Eltern, Herder spektrum
Ein Standardwerk. Mich haben einige Ausführungen aber nicht überzeugt, weil sie mit dem, was ich in der Praxis feststelle, nicht übereinstimmen.
Die Autorin betont z.B., dass man keine Kinder zu Legasthenikern machen kann. Man könne das manchmal von weniger informierten Eltern hören, die meinen, man könne einem Kind das Schreiben und Lesen so falsch beibringen, dass es zu einem legasthenen Menschen wird. Genau das glaube ich im Gegensatz zur Autorin aber doch. Beim Schreiben ist es für mich eindeutig, dass das freie oder ungeregelte Schreiben eine wesentliche Ursache für die zunehmenden Rechtschreibschwierigkeiten darstellt. Beim Lesen gibt es viele Ursachen. Für mich steht fest, dass viele Schüler zu bald beginnen, schnell zu lesen. Manche Kinder bräuchten einfach mehr Zeit und/oder schon sehr früh eine individuelle Förderung. Ich sage immer: Richtiges Lesen geht vor schnellem Lesen.
Die Autorin weist darauf hin dass allen Lese-Rechtschreibschwierigkeiten besondere Sinneswahrnehmungen zugrunde liegen, die von den normalen Sinneswahrnehmungen abweichen. Diese besondere Art der Sinneswahrnehmung führe dazu, dass es bei der Beschäftigung mit Symbolen, wie es die Buchstaben sind, zu Komplikationen in der Verarbeitung kommt (wie es bei legasthenen Menschen immer der Fall ist). Es heißt, dass nur einwandfrei funktionierende Sinneswahrnehmungen ein fehlerfreies Schreiben und Lesen garantieren. Abweichende Sinneswahrnehmungen würden die zeitweise (freilich nicht ständige) Unaufmerksamkeit des legasthenen Menschen bei Schreiben und Lesen bewirken. Manchmal können sich legasthene Kinder auch sehr gut auf die Tätigkeit des Schreibens und Lesens beziehen und bei der Sache bleiben. Dieser Zustand der Aufmerksamkeit könne von den Kindern nicht bewusst gesteuert werden; so ist es schließlich immer ein Zufall, wenn es gelingt. Soweit die Autorin. Meine Meinung: Am Anfang meines Lesetrainings habe ich keinerlei Fachliteratur gelesen. Ich habe mich lange gefragt, warum die Schüler etwas anderes lasen, als auf dem Papier stand. Warum z.B. wurde „der" statt „die" gelesen oder z.B. „eine" statt „einen" usw.? Erst als ich im Text auf einzelne solcher Wörter deutete und diese isoliert lesen lies, machte es bei mir Klick. Die Wörter wurden nämlich einzeln alle richtig gelesen. Aber im Text wurden sie „gebeugt". Die Schüler haben sich auf andere Wörter konzentriert, auf für die Sinnentnahme wichtig Wörter. Der Rest wurde angepasst. Man hat nicht gelernt, die Wörter schnell und vor allem richtig zu entschlüsseln. Deshalb kann ich dem folgenden Satz auf Seite 24 auch nicht zustimmen: „Zusammenfassend kann gesagt werden, dass man von einer Legasthenie dann sprechen kann, wenn die Sinneswahrnehmungen vom Durchschnitt abweichen, was eine zeitweise Unaufmerksamkeit bei den Tätigkeiten des Schreibens und Lesens hervorruft. Durch diese Unaufmerksamkeit macht das Kind beim Schreiben und beim Lesen so genannte Wahrnehmungsfehler." Ich bin davon überzeugt, dass die Lesetechnik zumindest „meiner" Schüler mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten falsch ist.
Aber folgender Passage kann ich nur zustimmen: „Keinesfalls ist es berechtigt, einen legasthenen Menschen als kranken oder behinderten Menschen zu bezeichnen. Legasthene Menschen können ja das Schreiben und Lesen genauso erlernen wie jeder andere Mensch auch, nur die Voraussetzungen müssen andere sein. Nur weil ein gewisser Prozentsatz der Menschen für das Erlernen dieser Fähigkeiten andere Voraussetzungen hat, sind sie doch nicht krank!" Das heißt also, auch die Autorin glaubt, dass man die von ihr genannten Wahrnehmungsfehler vermeiden kann. Sonst würde ich es nicht verstehen.
Auch die Autorin plädiert für das Einzeltraining, das mindestens ein Jahr dauern sollte.
Ein ganz bedeutender Schritt, so schreibt die Autorin, den das legasthene Kind vollziehen muss, bestehe darin, dass es ganz bewusst erkennt, dass jedes Wort aus einer bestimmten Anzahl von Buchstaben besteht. Das passt gut mit meiner Methode, den Text buchstabenweise zu präsentieren und das Wort erst lesen zu lassen, wenn es vollständig ist. Bei entsprechender Geschwindigkeit wird sofort deutlich besser gelesen, allerdings halt sehr langsam.