Dorothea Thomé & Günther Thomé – Ratgeber Rechtschreibprobleme LRS/Legasthenie – Erfahrungsberichte Perspektiven Auswege – isb Institut für sprachliche Bildung Oldenburg – 2021, 2., verbesserte Auflage - ISBN 978-3-94212201-6
Ich war schon von der ersten Auflage begeistert.
Das Buch ist gut gegliedert und verständlich geschrieben. Es enthält bewegende Geschichten betroffener Kinder und Eltern mit vielen Beispielen und erklärende Hintergrundinformationen sowie nützliche Tipps, was man bei Rechtschreibschwierigkeiten tun kann.
Eine der Kernbotschaften: „Entscheidend ist, dass an den konkreten Problemen des Kindes sinnvoll gearbeitet wird.“
Zur Frage, ob die Rechtschreibung früher besser war, stellen die Autoren fest: „Wenn man etwa dreißig Jahre alte Maßstäbe an die heutigen Rechtschreibleistungen anlegen würde, könnte man gut die Hälfte unserer Schüler als rechtschreibschwach bezeichnen!“
In die Berichte von Eltern und Kindern kann man sich gut hineinvertiefen. So einiges davon habe ich auch erlebt. Und oft wird deutlich, dass viel Zeit verschwendet wird, weil nach Schema vorgegangen wird. Aus den Erfahrungen anderer kann man hier viel lernen.
Sehr gelungen sind auch die Textbeispiele, bei denen der Schülertext orthographisch richtig und danach mit den Originalfehlern dargestellt wird. Man erlebt dadurch, wie durch schwache Rechtschreibung der gute Inhalt leicht untergeht.
Das Kapitel „Rat und Tat“ macht ungefähr die Hälfte des Buches aus. Da steht einiges, was die Verantwortlichen in den Kultusministerien lesen sollten, was aber auch für Eltern und Trainer wichtig ist. Zum Beispiel wird mit der Forderung, schneller zu werden, vieles falsch gemacht. Herrlich passt dazu ein Satz von Johann Amon Comenius (1592-1670): „Der Vogel wirft seine Eier nicht etwa ins Feuer, damit die Jungen schneller ausschlüpfen, sondern brütet sie ganz langsam mit der natürlichen Wärme aus.“ Klar, was das bezogen auf das Lernen bedeutet.
Auch das Lernmaterial, sprich die Schulbücher, tragen manchmal zu falschem Lernen bei. Die Beispiele kann ich noch ergänzen, mit einem Lehrbuch, das ich gerade in einer Schule gesehen habe, in dem Nomen dadurch geübt werden, dass man in einem langen Text vor jedem Nomen den Artikel kennzeichnen soll, der tatsächlich auch vor jedem Nomen steht. Es gibt in diesem Text keine gleichlautenden Pronomen oder Artikel ohne ein Nomen danach. Kein Wunder, wenn, was ich oft erlebe, die Schüler dann „die Schöne blume“ schreiben. Nomen erkennt man im richtigen Leben nämlich nicht daran, dass immer ein Artikel davorsteht.
In dieses Kapitel gehört auch das Basiskonzept, das die Autoren entwickelt haben, und das davon ausgeht, zuerst die häufigeren Schreibungen zu lernen, bevor es an die Ausnahmeschreibungen geht. Ja, so müsste es sein! Das ist wieder so eine Stelle im Buch, die man auch in den Kultusministerien zur Kenntnis nehmen sollte. Ich fürchte allerdings, dass man dieses Prinzip dort kennt, es aber dem Grundsatz, dass sich die Kreativität der Kinder so früh wie möglich entfalten soll, untergeordnet wird. Deswegen sollen die Kinder frei schreiben, obwohl sie weder die Handschrift noch die Rechtschreibung beherrschen. Damit wird jedes noch so schöne Basiskonzept über den Haufen geworfen.
Sehr treffend fand ich auch die Schilderung der fehlgeleiteten Versuche, das Dehnungs-h (oder die manchmal auch als Trennungs-h bezeichnete Variante) hörbar zu machen. Alle geschilderten Probleme in diesem Kapitel kenne ich aus meiner Praxis. Eltern dürfte beim Lesen dieses Kapitels so einiges klar werden.
Das kurze Kapitel über Vornamen muss ich mit einem eigenen Beispiel ergänzen. Der ungewöhnliche Mädchenname, den ich hier nicht wiedergebe, war so konstruiert: KVK-KV. Ich habe den Vokal in der ersten Silbe kurz gesprochen. Das Mädchen sagte aber, sie heiße „KVK-KV“ so sprechen den Namen auch die Eltern aus. Und tatsächlich, das Mädchen liest z.B. „Lüfte, Kante ...“, und das durchgehend bei allen gleich gebauten Wörtern. Daran habe ich jetzt zu arbeiten.
Es folgen im Buch dann praktische Hinweise, die gut umgesetzt werden können.
Zum Schluss wünschen sich die Autoren kleinere Klassen, bessere Betreuungsangebote für Kinder, und beantworten die Frage, wer das bezahlen soll, verblüffend mit dem Hinweis, dass mit dem Geld, das für die Folgekosten von Arbeitslosigkeit, Analphabetismus usw. ausgegeben werden muss, eine Luxusausbildung für alle finanziert und dabei noch gesamtgesellschaftlich gespart werden könnte. In der Sprache meines früheren Lebens als Manager hieße das, brutal formuliert: In die Produktqualität muss investiert werden, nicht in die Reklamationsabteilung!
Das Buch gibt es inzwischen in einer Neuauflage.